Stellungnahme „Medizinkonzeption+Fusion“ für die GRÜNE KREISTAGSFRAKTION

22.12.23 –

ERICH GRIESSHABER sowie JOHANNES SCHWARZ * FRAKTIONSSPRECHER BÜNDNIS90/GRÜNE IM CALWER KREISTAG

Stellungnahme „Medizinkonzeption+ Fusion“18.12.2023 für die GRÜNE KREISTAGSFRAKTION

Die grundsätzliche Situation, von der medizinischen Fachwelt seit vielen Jahren ziemlich unisono prognostiziert:

1. Medizinische Qualität - also konkret die Wahrscheinlichkeit, ohne Komplikationen behandelt zu werden - hängt immer weniger vom „kurzen Weg“ ins Krankenhaus ab, sondern viel mehr von der „Übung“ des medizinischen Personals ab. Deshalb sind Mindestfallzahlen eine logische Folge von statistisch- medizinischer Qualitätssicherung.

2. Die Personalknappheit wird zum größten Thema in allen Branchen, aber eben besonders in der Medizin. Das ist auch kein hausgemachtes Problem, sondern einfach Demografie. Und der Blick in die Bevölkerungsstatistik (www.statistik-bw.de) zeigt, dass diese Kluft auf viele Jahre hinaus noch größer wird. Es wird immer schwieriger genügend Personal zu finden, und zwar gerade in den relativ kleinen Abteilungen, die mit geringen Fallzahlen auch nicht attraktiv sind, z. B. auch die in der Diskussion stehenden Abteilungen Geburtshilfe und Kardiologie.
Diese beiden Punkte bewahrheiten sich längst. Deshalb fordern die Experten auch seit Jahren die Spezialisierung und Konzentration bei Krankenhausleistungen, um einerseits ausreichend hohe Fallzahlen und andererseits möglichst attraktiv für knappes Personal zu sein. Alle Horrorszenarien über prognostizierte Geburten im Auto etc. können darüber auch nicht hinwegtäuschen. Der Blick in andere Länder zeigt, dass die Konzentration bei der stationären Versorgung nicht zulasten der Versorgungsqualität geht.
Deshalb kann es für uns Grüne kein Beharren auf dem Status quo geben, sondern braucht es eine Weiterentwicklung unserer Medizinkonzeption, sonst droht uns, dass wir mehr verlieren, als wir haben könnten.
Diese Medizinkonzeption wurde im Übrigen schon vor über 10 Jahren gemeinsam mit den Kliniken im Kreis Böblingen aufgestellt und ist auch Grundlage für die Zustimmung und Bezuschussung durch das Land.
Deshalb kann diese Medizinkonzeption auch nur im Blick auf den gesamten Klinikverbund und all seine Krankenhäuser fortgeschrieben werden.
Dieser Klinikverbund leuchtet uns bis heute in seiner geografischen Ausdehnung ein und ist im Alltag unserer Kliniken auch nicht mehr wegzudenken, trotz aller Schwierigkeiten, die wir nicht verschweigen wollen (siehe weiter unten Thema „Fusion“).
Wir wollen auch betonen, dass es in dieser Debatte nicht nur ums Geld geht. Nein, es geht in erster Linie um die Sicherstellung der Personalversorgung, die in Akut- Kliniken eben ohne jegliche Ausnahme „24 Stunden, 7 Tage die Woche“ bedeutet. Erst in zweiter Linie wird diese Schwierigkeit, definitiv für jeden Nacht- und jeden Wochenend- Dienst jemand zu finden, auch zu einem finanziellen Problem und steigenden Defiziten, die mit Steuermitteln ausgeglichen werden müssen.
Unsere beiden Krankenhäuser im Kreis Calw: Auch da sagen uns die Fachleute seit vielen Jahren ziemlich unisono: Nagold wird Schwerpunktversorger, Calw Grundversorger. Der Blick auf die Landkarte lässt dies logisch erscheinen. Nagold war immer das etwas größere Krankenhaus, hat mit dem Hinterland von Neuweiler über Altensteig bis Haiterbach und Horb ein größeres Einzugsgebiet und ist vom Flugfeldklinikum Böblingen weiter entfernt.
Trotzdem bestätigt das neue Gutachten, dass das neue Krankenhaus in Calw 24/7- Notfall- Versorgungs- Relevanz hat und diese gesichert werden muss.
Die Grüne Kreistagsfraktion hat daher der Fortschreibung der Medizinkonzeption zugestimmt, die weitgehend den Empfehlungen des Gutachtens entsprechen:
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die Gyn./ Geburtshilfe wird verlagert und mit ihrem Herrenberger Pendant in Nagold vereinigt.
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die Neurologie zieht zunächst im Calwer Neubau ein (obwohl 2018 anders beschlossen!) und soll mit ihrem Hauptsitz später nach Nagold wechseln. Gerade die Neurologie ist aber schon heute für beide Krankenhäuser wertvoll und präsent. In Nagold werden jährlich über 100 Schlaganfälle akut behandelt, obwohl die Neurologie in Calw „sitzt“, das wäre irgendwann auch umgekehrt möglich. Ähnliches gilt für die Kardiologie.
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Die Nagolder Unfallchirurgie wird komplett nach Calw verlagert und mit der Orthopädie verschmolzen. In Calw wird zudem eine Altersmedizin etabliert. Damit haben wir 3 Abteilungen, wo kurze Wege besonders wertvoll sind. Denn die Oma mit Oberschenkelhalsbruch kann eben nicht nach 3 Tagen schon wieder heim.
Zu den Baumaßnahmen: ja, einen Kreißsaal zu bauen und nicht zu beziehen, ist kaum zu verstehen. Zur Wahrheit gehört aber auch: beim Baubeschluss 2018 hatten wir nur 1 Alternative: nämlich der kleinen Calwer Geburtshilfe gar keine Chance mehr zu geben und sie im Neubau nicht mehr einzuplanen. Der Aufschrei rund um Calw wäre noch größer gewesen.
Die „Verschmelzung mit Herrenberg“, die sich heute bietet, war damals überhaupt nicht denkbar. Doch nun haben wir diese Chance, gemeinsam mit den überregional renommierten Herrenberger Hebammen dauerhaft eine Geburtshilfe im Kreis Calw zu sichern. Und trotz nochmals hoher Baukosten ist Nagold dafür der geeignetere Standort, siehe Begründung weiter oben.

Nun sagen manche: wir sind 2018 zu kurz gesprungen und hätten damals das eine zentral gelegene Krankenhaus im Kreis Calw beschließen sollen. Ich habe damals dafür gekämpft, diesen Punkt ernsthaft zu prüfen. Aber wir müssen auch da ehrlich bleiben: diese sogenannte Einhäusigkeit ist nicht nur an Lokalpolitischen Abwehrhaltungen (vor allem in Nagold) gescheitert, sondern auch, weil uns der geeignete Standort „irgendwo in der Mitte“ nicht gerade ins Auge gesprungen ist. Wildberg, Neubulach oder gar Schönbronn haben sich rein verkehrstechnisch nicht gerade empfohlen.
Denkbar wäre auch gewesen, Calw, Nagold und Herrenberg an einem zentralen Ort zu vereinigen, medizinisch durchaus verlockend. Aber dieser Standort wäre sicher nahe der Kreisgrenze gelegen, im günstigsten Fall bei Sulz oder auf dem Nagolder Eisberg und wäre damit für die Flächenversorgung der Gemeinden westlich der Nagold keine bessere Lösung gewesen.
Deshalb abschließend unser Plädoyer: blicken wir auf das war wir haben, einen Neubau in Calw und ein generalsaniertes Gebäude in Nagold, und machen wir daraus das Beste, durch eine Medizinkonzeption,
mit Nagold als Schwerpunkt-, sowie mit Calw als Grundversorger, dessen 24/7- Notfall- Relevanz von den Gutachtern klar bestätigt wurde. Mit Orthopädie, Unfallchirurgie und einer Altersmedizin, haben wir in Calw 3 Abteilungen, wo kurze Wege besonders wertvoll sind. Denn die Oma mit Oberschenkelhalsbruch kann eben nicht nach 3 Tagen schon wieder nach Hause, sondern freut sich 2 Wochen lang über Besuch.
Nicht zuletzt haben wir einen Gesundheitscampus, der als Musterbeispiel über die Landesgrenze hinaus gilt. Gerade über manche kontroverse Diskussion hinweg will ich anerkennen: es ist vor allem auch der Verdienst von Landrat Riegger, diese Campus- Idee frühzeitig und beherzt aufgegriffen zu haben. Daran gilt es weiterzuarbeiten.
Die Grüne Fraktion hat auch der Fusion zu einer gemeinsamen Klinikgesellschaft zugestimmt:
Der Klinikverbund besteht seit 2006, die gemeinsame Medizinkonzeption seit über 10 Jahren,
diese auch als Bedingung für Bau- Zuschüsse des Landes.
Aber zum ersten Mal wird dabei 1 Abteilung über die Landkreisgrenze verschoben : die Geburtshilfe Herrenberg nach Nagold.
Auch deshalb ist der Zeitpunkt für eine Fusion, nach 18 Jahren „wilder Ehe“, ein logischer Schritt.
Klar ist für uns auch, u. a. nach Gesprächen mit dem Sozialministerium: Nagold und Calw, alleine auf sich gestellt, wären nicht überlebensfähig.
Der Abbau von Doppelstrukturen - wie er im medizinischen Bereich verfolgt wird - , kann auch in Verwaltung und Politik nicht falsch sein, mit der Verschmelzung von 3 Gesellschaften auf eine.
Mit der Fusion werden wir einfach schlagkräftiger und schlankere Strukturen erleichtern verbundübergreifendes Denken und eine gemeinsame Ausrichtung. Natürlich sind wir der kleinere Partner, aber mit erheblichem Minderheitenschutz:
Wichtige Beschlüsse bedürfen der „Doppelten Landkreismehrheit“. Dies betrifft unter vielen anderen Punkten die
Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer; die Genehmigung des Wirtschaftsplans, die Eröffnung/ Schließung/ Zusammenlegung medizinischer Fachabteilungen; die dauerhafte Reduzierung der Notfallbereitschaft 24/7 an einzelnen Krankenhausstandorten.
Neben dem üblichen außerordentlichen Kündigungsrecht haben wir auch eine einmalige Ausstiegsmöglichkeit vereinbart OHNE Nachweis von besonderen Bedingungen (ordentlichen Kündigungsrecht). Ziel muss aber ausdrücklich sein, diesen Ausstieg zu vermeiden, daher ist uns der Hinweis auf den Fusions- Zeitplan und ein denkbares Ausstiegsszenario wichtig:
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Ab 2027 Fertigstellung der großen Krankenhaus- Baumaßnahmen
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Ab 2030 gemeinsame Verlustausgleich- Tragung, 2035 Überprüfung der Verlustausgleich- Quote
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2036/37 Überprüfung/ Fortschreibung Medizinkonzeption durch Aufsichtsrat und Kreistage (Vorschlag J. Schwarz), um Calwer und Böblinger auch weiterhin für die „Fusions- Ehe“ zu begeistern. Wenn dies gar nicht gelingt, wäre im 1. Halbjahr 2038 ein Ausstieg möglich, mit Wirkung auf 31.12.2039 als ordentliches Kündigungsrecht.
Zum Schluss ganz persönlich, als Calwer bzw. Liebenzeller Kreisrat: Wir wissen, dass viele es anders sehen und von uns etwas anderes hören bzw. lesen wollen. Ich möchte umso mehr betonen: wir haben hier keine leichtfertige Entscheidung getroffen, sondern sind nach langer und reiflicher Debatte davon überzeugt, mit dieser Konzeption die Gesundheitsversorgung im Kreis Calw langfristig bestmöglich aufzustellen.
Es ist viel von Risiken die Rede und noch nicht absehbaren Folgen unserer Beschlüsse. Diese Risiken können wir tatsächlich nicht komplett ausschließen. Die Risiken bei einer Ablehnung oder Vertagung wären unseres Erachtens aber größer gewesen, weil vor allem die große Mitarbeiterschaft endlich Klarheit und wieder Ruhe braucht. Ganz konkret könnte ohne diese Beschlüsse die regelmäßige personelle Unterstützung der Böblinger Krankenhäuser für die Calwer Geburtshilfe wegbrechen.

Für die Grüne Fraktion und als Aufsichtsräte der Kreiskliniken: Erich Grießhaber + Johannes Schwarz

 

Die Presseerklärung hierzu

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