
22.12.25 –
Sie engagieren sich seit vielen Jahren für Fairen Handel und globale Gerechtigkeit und haben sich für die Kampagne Fairtrade-Town im Landkreis stark gemacht. Wie hat alles begonnen?
Mein Engagement hat in Südamerika seinen Anfang genommen. Fast zehn Jahre arbeitete ich als Auslandsmitarbeiter einer politischen Stiftung – erst in Paraguay während der Diktatur von Alfredo Stroessner, später in Brasilien in der Phase des demokratischen Aufbruchs. Meine Aufgabe war es, gemeinsam mit lokalen Partnern Wege zu finden, demokratische Strukturen zu stärken. In diesen Jahren lernte ich, dass die typisch deutschen Kriterien von Pünktlichkeit, Effizienz, Sparsamkeit und Direktheit zwar von anderen geschätzt werden, aber angesichts der obwaltenden Umstände zu hinterfragen sind. Bei meiner Arbeit in Südamerika konnte jeder Tag anders laufen, auf staatliche Organisationen konnte man sich kaum verlassen. Was zählt ist Freude an jedem geschenkten Tag, Vertrauen und eine schier unendliche Hoffnung, dass am Ende alles gut wird – und immer viel Mut.
Wie hat Sie diese Erfahrung geprägt – auch in Bezug auf die Bedeutung von „Wandel“?
„Nichts ist so beständig wie der Wandel“, wird dem Philosophen Heraklit von Ephesos (535 – 475 v.Chr.) zugeschrieben. Wandel ist für mich keine Bedrohung, sondern eine ständige Herausforderung, veränderten Situationen offen, neugierig und vorurteilsfrei zu begegnen. Beobachten, zuhören, die Möglichkeiten ausloten und bewerten und dann angemessen und entschieden handeln. Dabei leitet mich die Maxime „Möglichst viel Freiheit für möglichst viele Menschen“.
Aktuell sind Sie im Kreis Calw für den Fairen Handel engagiert. Wie kam es dazu? Wie ging es nach der Rückkehr nach Deutschland weiter?
Zunächst engagierte sich unsere Tochter im Weltladen Wildbad, später meine Frau – und schließlich ich selbst. Von 1999 bis 2022 war ich Vorsitzender, heute bin ich stellvertretender Vorsitzender. Der Faire Handel war für mich die ideale Möglichkeit, meine Erfahrungen aus der Entwicklungszusammenarbeit in konkretes Handeln zu übersetzen. In Bad Wildbad setzte ich mich jahrelang dafür ein, die Stadt auf den Weg zur Fairtrade-Town zu bringen. Es dauerte, aber es hat sich gelohnt: 2024 wurde Bad Wildbad als fünfte Fairtrade-Town im Landkreis ausgezeichnet. Ich wusste immer: Ohne bürgerschaftliches Engagement wäre das nicht möglich gewesen. „Auf dem Verwaltungsweg ist der hohe Zeitaufwand kaum zu rechtfertigen.“
Dieses Jahr erhielt der Kreis Calw zum ersten Mal die Auszeichnung als Fairtrade-Kreis. Dies ist ein wichtiger Schritt, aber „Ausruhen ist nicht.“ In fünf Jahren wünsche ich mir mehr Fairtrade-Kommunen, eine starke Vernetzung der Weltläden und ein deutlich verändertes Bewusstsein dafür, dass Billigpreise einen hohen Preis für andere bedeuten.
Was bedeutet Fairer Handel für Sie im Kern? Warum ist er wichtig?
Im Mittelpunkt steht das Prinzip „Wandel durch Handel“, also die Idee, dass gerechte wirtschaftliche Beziehungen politischen und gesellschaftlichen Fortschritt und Wandel von autoritären Regimes fördern. Fairer Handel stellt vor diesem Hintergrund direkte Beziehungen zu genossenschaftlich organisierten Produzentinnen und Produzenten her, sichert ihnen in der Regel vor der Produktion einen existenzsichernden Abnahmepreis zu und verpflichtet die Produzentinnen und Produzenten im Gegenzug zur Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen, dem Verbot von Kinderarbeit, Bildungsanstrengungen und sozialer Absicherung. Je mehr faire Produkte es gibt, desto besser die Chancen der Menschen „am Anfang der Lieferkette“. Dafür müssen wir Verbraucherinnen und Verbraucher alle aktiv werden und bewusste Kaufentscheidungen treffen
Was sind die größten Hürden?
Ein Widerspruch beschäftigt mich besonders: Kund*innen schätzen Qualitätssiegel, aber im Einkaufskorb tauchen sie nur selten auf. Michaela Meyer Geschäftsbereichsleiterin Nachhaltigkeit von EDEKA Südwest formulierte es einmal treffend: „Man handelt anders, als man will. Der gute Wille ist im Kopf verankert, aber dann siegt der Preis.“
Das bringt es auf den Punkt. Auch zeigt meine Erhebung im Landkreis Calw: 87 Geschäfte, 22 Gastronomie- und Übernachtungsbetriebe, vier Schulen, sieben Vereine und zehn Kirchengemeinden führen faire Produkte. Das ist erfreulich – aber es könnte viel mehr sein.
Gab es Momente, in denen Sie ans Aufgeben gedacht haben?
Nein. Es brauchte Geduld, aber nie Zweifel. Ich habe in Südamerika gelernt, wie viel Mut Veränderung braucht – und wie viel man erreichen kann, wenn man dranbleibt. Fairer Handel ist ein Gemeinschaftsprojekt. Für die Zukunft wünsche ich mir mehr Vernetzung im Landkreis, gegenseitige Unterstützung und weitere Kommunen, die sich der Fairtrade-Town-Kampagne anschließen.
Was möchten Sie den Leser*innen mitgeben?
Dass jede und jeder im Alltag Einfluss hat. Jede Kaufentscheidung ist ein Signal. Wandel entsteht, wenn Menschen gemeinsam kleine Schritte gehen – und nicht glauben, dass sie allein nichts bewirken können.
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Ernährung und Tierschutz | Klima und Umwelt | Soziale Gerechtigkeit
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